Ausstellung (Nach der Natur)

 

Il faut cultiver son jardin!

>>Es war einmal eine kleine verängstigte Maus, das ängstlichste Lebewesen der Welt<<, sagte ich, >>die hatte von Nadjas Bildern gehört, von jenen Bildern, in denen alles drinsteht, was in den Köpfen der Menschen vorgeht. Und deshalb lief sie durch die ganze Welt, um Nadjas Bilder zu finden.<<
>>Und hat sie die Bilder gefunden?<<
>>Selbstverständlich.<<
>>Und was war dann?<<
>>Die Maus guckte die Bilder an und verlor ihre Angst.<<
>>Ist das auch wahr?<<
>>Alle wunderbaren Geschichten sind wahr.<<

Edgar Hilsenrath hat diese kleine Geschichte erfunden, weil er einen Beitrag zu einem Kunstkatalog schreiben sollte, aber nach eigenem Bekunden nicht wußte, wie sowas geht.

Dabei ist das doch ganz einfach: Man schaut sich die Bilder an. Man fragt sich: Was sehe ich? Man erklärt sich selber, was man sieht! Man fragt sich: Und was soll das bedeuten? Man erklärt sich selber, was es bedeuten könnte. Und dann liegt man entweder richtig oder falsch. Older halbfalsch oder dreiviertelsrichtig.

Aber das ist dann völlig und total egal, weil man die Bilder mit den eigenen Augen betrachtet, die eigenen Synapsen aktiviert, somit die Bilder für sich selber vereinahmt und die einzig gültige Interpretation definiert hat, sodaß die Frage nach richtig oder falsch marginal wird.

Worum geht es nun bei dieser Ausstellung, bei diesem Katalog, bei den Bildern von Monika Hau. MeinerAnsicht nach erzählt sie eine Geschichte, eine Geschichte von der Natur und dem Menschen und von der Natur des Menschen, eine Geschichte, die selber jenseits von richtig und falsch angesiedelt ist.

Die Bildergeschichte von Monika Hau ist eine Evolutionsgeschichte. Ich sehe Linien, Gitter, Schraffuren, florale Ornamente, DNA-Strukturen, Spermien, Sporen, Amöben oder Pantoffeltierchen, Gedärm und Ausscheidungen, Bausteine des Lebens, organische Strukturen.

Zwischen all den zufälligen und hingepinselten Strukturen gibt es auch klar konturierte Formen, die sich häufiger wiederholen, quasi Logos oder Signets des Lebens.

Da wuselt das Konturierte und das Flächige zusammen und durcheinander und so ist - Zufall oder nicht - evolutionsgeschichtlich der Mensch entstanden. Voila un homme! Darwin wütet reichlich in den Bildern mit allem was er zur Verfügung hat, nämlich einem Gran Grausamkeit und einem Tönnchen Tröstlichkeit. So ist halt das Gesetz der Natur. Die Portraits kommen als farbliche Röntgenaufnahmen daher. Der menschliche Kopf als Entwicklungs- und Untersuchungsgegenstand.

Die nachfolgenden Gesichtsabdrücke vereinen die Menschen mit Pflanzen, Tieren und abstrakten Wesen. Im Gesicht des Menschen offenbart sich das Leben von allem und natürlich er selbst.
In den Alltagsspuren zeigen sich die Gesichter in ihren Verletzungen, Verwerfungen, Metamorphosen und Maskeraden. Die Ockertöne am Schluß thematisieren meiner Ansicht nach den Einfluß der Farben und Konturen auf das Leben.

Und so endet die erzählte Story von Monika Hau in dieser Ausstellung und diesem Katalog.

Das kann natürlich halbfalsch oder dreiviertelsrichtig sein. Aber das ist ja (siehe oben) völlig egal.

Eines ist klar: Für verängstigte Mäuse ist diese Austellung nix. Wenn Sie also sowieso ziemlich angstfrei sind, dann schauen Sie sich die Bilder von Monika Hau an, um ein wenig Furcht oder ein bißchen Ehrfurcht zu lernen.

Doch muß ich Sie auch warnen. Ein Wagnis ist es allemal. Wie jede Begegnung der unbekannten Art. Wie zum Beispiel in dem Märchen vom Gedicht vor Gericht.

Einmal mußte ein Gedicht vor Gericht. Es war angeklagt wegen schwerer Körperverletzung, weil einem Germanisten beim Lesen die Augen aus dem Kopf gefallen waren. Das Gedicht fühlte sich jedoch unschuldig. Respektlos und ungeniert stellte es sich vor den Richter und machte seine Aussage. Aber niemand verstand etwas. Weder Staatsanwalt noch Verteidiger konnten sich einen Reim auf die Sache machen. Da schickte der Richter nach dem Dichter. Der kam, sah sein Gedicht und sagte mit leiser Stimme, daß alles stimme, daß er alles zugebe, aber nichts hinzuzufügen habe.

Ähnlich verhält es sich - so glaube ich - mit den Bildern von Monika Hau.

Dirk Bubel

 

Monika Hau

Nach der Natur

Was ist Natur? Der Mensch definiert die Natur häufig als Negativum zu sich selbst: hier stehe ich, dort steht die Natur. Wo der Mensch ist, weicht die Natur. Die Abwesenheit des Menschen tut der Natur anscheinend gut, seine Anwesenheit ist mitunter abträglich. "Im Einklang mit der Natur leben" scheint für den modernen Menschen nicht so einfach zu sein. Alle wünschen sich's, die wenigsten handeln danach.

Malen Künstler "nach der Natur" so heißt das in der Regel, dass sie ihre Kunst in den Dienst der Abbildung ihres Sujets stellen. Es wird so gezeigt, wie es "in der Natur" - also ohne Einwirkung des Menschen - anzutreffen ist. Dies geht einher mit einem gewissen Zurücksetzen der Künstleridentität. Seine Handschrift ist in Maltechnik und Auswahl des Sujets zwar zu erkennen, jedoch weniger in der künstlerischen Komposition oder im Arrangement. Porträts "nach der Natur" sind häufig herb und zeigen mit jeder Pore oder Falte keine Gnade für die Eitelkeiten des Porträtierten. Der Künstler bildet ab und hält sich mit Interpretation oder gar Idealisierung zurück. Zieht der Künstler raus in die Natur und malt er sein Sujet im Lichte der Natur, so "bannt er es auf die Leinwand".

Doch die Zurücknahme der Künstlerpersönlichkeit ist selbstverständlich nur eine Illusion. Auch der nach "der Natur" malende Künstler interpretiert und unterwirft sein Sujet seinem künstlerischen Schaffensprozess. Und selbstverständlich sucht der Künstler in der Arbeit nach der Natur eine Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, die hinter der Oberfläche des Sujets liegt.

Hier setzt Monika Hau mit ihren Arbeiten an - und geht weiter, genauer gesagt: tiefer. Sie interessiert sich für das, was hinter der Oberfläche passiert. Sie dringt in die Natur ein, löst sie auf. Sie arbeitet sich Schicht um Schicht nach unten, legt frei. Die Richtung ist jedoch nicht linear immer nur in die Tiefe gerichtet: sie springt zurückt, wechselt die Perspektive, deckt wieder zu, was sie eben noch freigelegt hat. Im Arbeitsprozess wird daher geschabt und gespachtelt, mit glänzendem Autolack versiegelt und mit Lösungsmittel beseitigt, aufgetragen und abgetragen, ausgehöhlt oder aufgetürmt, mit den Fingern geschmiert oder einfach die Farbe aufgegossen. So stehen polychrom diffuse Farbwolken neben hart glänzenden Lackseen. Je nach Blickwinkel wird Bildgrund zum Himmel oder Abgrund. Das gestische Arbeiten von Monika Hau wird jedoch nicht zum Selbstzweck: es soll nicht in erster Linie die Spur der Künstlerin belegen, den Schaffensprozess verewigen, sondern sie bedient sich vielmehr ganz natürlich - natürlich! - der unterschiedlichen Techniken, um ihre künstlerische Suche fortzusetzen.
Ihre Suche hat zum Ziel die Vielschichtigkeit und das Unsichtbare ihrer Sujets sichtbar zumachen. Sie geht bei ihrer Arbeit von realen Objekten aus, meist Pflanzen, aber auch Pilzen, Sporen und selbstverständlich auch Menschen. Die Sujets werden assoziativ von ihr auf die Leinwand gesetzt und miteinander in Verbindung gebracht. Dies geschieht durch ihre Technik des malerischen Aufbrechens und der Verschiebung von Dimensionen. Ihr Suchen ist tastend und assoziativ, stellt in Frage, verwirft.

Den Menschen begreift Monika Hau als Teil der Natur. In den Bildern taucht er als Zeichen auf, als Schablone. Sie nutzt tatsächlich Umrissschablonen von früheren Aktzeichnungen, um menschliche Gestalten in ihren Bildern zu platzieren. Auf gewisse Weise macht die Vielschichtigkeit ihrer Arbeitsweise auch vor der Chronologie ihres eigenen Oeuvres nicht halt, wenn sie sich auf diese Weise auf frühere Arbeiten bezieht und sie quasi als Echo in neue Arbeiten aufnimmt. Der Suchprozess umfasst also auch das Aufbrechen von Schichten in der eigenen Künstlerbiografie.

Die Schablonengestalten zeichnen sich durch Abgegrenztheit aus und durch Wiederholbarkeit. In einigen Arbeiten wird die Figur aufgelöst, entkörperlicht. Es bleibt ein Geflecht, ein Netz, zurück. Die Figur wirkt durch die Innengliederung wie ein Mikrokosmos im Makrokosmos der Natur. Sie ist Teil und teilt sich doch ab. Es ist das ewig Zelluläre der Natur, das hier aufscheint. In anderen Arbeiten wirken die "Mensch-Zeichen" wie hingetupft, ohne Bezug zu ihrer Umgebung, seltsam friedlich mit sich selbst beschäftigt über die Bildoberfläche dahin treibend, seltsam geschlossen, unreif, wie Keime oder Ornamente. Ich denke unwillkürlich an Seelen und Embryonen.

Die künstlerische Suche Monika Haus soll das Verborgene zum Vorschein bringen. Das Verborgene ist das "Wesentliche" ihrer Sujets. Bei Monika Hau ist das Unsichtbare auch das Fühlbare - besser: das von ihr gefühlte. Sie gibt ihm den gleichen Stellenwert, wie das physisch Präsente. Die Darstellung erfolgt durch Farbe und in der Komposition. So durchschneidet ein schwarzer Bogen das Bild "Verstreute Kirschen". Es entstand nach dem Tod des Vaters von Monika Hau. Er ist ein schwarzer Strom, ein Styx, der trennt aber auch sich vermischt, zerfließt und zerfasert, selbst ein Teil der Natur, abgrenzend, jedoch nicht ausgegrenzt. Monika Haus Werk bietet einen ganzheitlichen Blick auf das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Mensch, Gefühl, Natur und einer ungreifbaren numinosen Kraft, die alle Elemente im Gleichgewicht zu halten scheint. Ihre Bilder zeigen Momentaufnahmen, ein künstlerisches Innehalten im Strom des Lebens.


Frank Thinnes

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